Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

4.2.1 Höllenvölker oder Gottessöhne im fernen Osten? (1221-1240)

Erste Informationen über die mongolischen Eroberungen in Persien erreichten die Europäer 1221 in Ägypten. Die Männer aus dem Abendland befanden sich seit 1217 auf dem fünften Kreuzzug. Nach Klopprogge prägten Auftrag und Aufenthaltsort die folgende Einordnung der Mongolen.[123]

Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen und Papst Gregor IX. schätzten die Mongolen zu dieser Zeit als eine von vielen Gefahren ein. Für sie gab es wichtigeres, vor allem den Machtkampf gegeneinander. Die Mongolen konnten dabei noch nicht gewinnbringend von der einen oder anderen Seite instrumentalisiert werden.

Die Chronisten jener Zeit aber schenken den Nachrichten aus dem fernen Osten viel Aufmerksamkeit und interpretieren sie im Licht der alten Prophetien. In der Vorstellung war Asien „durch den Kaukasus in eine Nord- und eine Südhälfte geteilt. [...] Während im Süden besonders Indien von großem Reichtum und biologischen Attraktionen geprägt ist und ein regelrechtes Lieblingsthema der Geographen darstellt, ist der Teil Asiens, der im Norden des Kaukasus liegt, von düsterem Charakter.“[124] Das dort befindliche karge und gefährliche Land, das „vom Östlichen Meer bis zum Kaspischen Meer, ja manchmal nach Europa bis zur Donau reicht“[125], wurde meist Skythien genannt.

Tatsächlich dachte das europäische Mittelalter geografisch und ethnologisch in Kategorien und Begriffen, die teilweise schon seit 2000 Jahren überholt waren. Der „Gesichtskreis der Latiner“[126] reichte nicht über das Mittelmeer, Konstantinopel, Polen, Ungarn und das heilige Land hinaus. Das Motiv der Bedrohung stellten hierbei nomadisierende Völker dar, die sesshafte Bauer umschlossen. Bereits in der Bibel wurden die Ismaeliten, Ismael war der Sohn Abrahams und seiner Magd Hagar, als Nomadenvolk Inbegriff der Feinde Gottes.[127]

Die alten Mythen wurden von einem mittelalterlichen Schreiber namens Methodius aufgenommen, den die moderne Geschichtsforschung Pseudo-Methodius nennt. Dieser wusste zu berichten, das die von Alexander dem Großen eingeschlossenen Völker am nördlichen Kaukasus sich in der Endzeit befreien würden. Die Skythen und Hyrkanier würden dann sieben Jahre lang wüten und am Ende von Gott vernichtet.

„Vom jüdischen Schriftsteller Josephus werden Gog und Magog im ersten Jahrhundert nach Christus mit den Skythen, also den Nomadenvölkern Nordasiens gleichgesetzt.“[128] Damit kam den Mongolen eine zentrale Bedeutung in der Apokalypse des Johannes zu, sie waren die verführten Nationen:

„Und wenn die tausend Jahre vollendet sind, wird der Satan aus seinem Gefängnis losgelassen werden und wird hinausgehen, die Nationen zu verführen[129], die an den vier Ecken der Erde sind, den Gog und den Magog, um sie zum Krieg zu versammeln; deren Zahl ist wie der Sand des Meeres. Und sie zogen herauf auf die Breite der Erde und umzingelten das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt.“[130]

Der Pseudo-Methodius prophezeite den zweimaligen Einfall dieser Völker in das Reich der Christen. Die Menschen erinnerten sich daran, als die Mongolen diese Prophetie erfüllen, da die Schriften des Pseudo-Methodius „zu den erfolgreichsten und am weitesten verbreiteten [...] des Mittelalters“[131] gehörten.

Dazu passend setzt sich der Name Tataren für diese unterschiedlichen Völker fest, da sie dem Anschein nach direkt aus der Hölle, dem Tartaros, kommen.[132] Sowohl Kaiser als auch Papst verbreiten diese Bezeichnung in ihren Schriften.[133] Die Nachrichten von den Gräueltaten der Tataren in Persien, wie im dritten Kapitel dieser Arbeit geschildert, überboten dabei in ihrer Schrecklichkeit sogar noch die apokalyptischen Prophetien.

Wie in der geografischen Einteilung, so gibt es auch hier ein „hoffnungsträchtiges Gegenstück: Es ist die Vorstellung von der Existenz eines mächtigen christlichen Reiches in Indien.“[134] Diese sehr alte Vorstellung nährte sich unter anderem aus der Geschichte der heiligen drei Könige, deren Heimat das Mittelalter im fernen Osten ansiedelte.

Als Herrscher dieses sagenumwobenen Reiches präsentiert Bischoff Otto von Freising 1141 einen Priesterkönig Johannes.[135] Hundert Jahre vor dem Mongoleneinfall schrieb er in seiner Chronica sive historia de duabus civitatibus von einem „König und Priester, der im äußeren Orient, jenseits von Persien und Armenien wohne und wie sein Volk Christ, aber Nestorianer sei“.[136] Dieser hatte die Perser, Meder und Assyrer geschlagen und wollte nach diesem Sieg nun „der Kirche in Jerusalem zu Hilfe kommen“.[137]

Als „Presbyter Johannes – so nämlich pflegt man ihn zu nennen – [...] aber an den Tigris kam und nicht ein einziges Schiff vorfand, um sein Heer überzusetzen, marschierte er nach Norden ab, wo, wie er gehört hatte, der Strom in der Winterkälte zufror. Dort hielt er sich einige Jahre auf und wartete auf Frost, aber infolge der milden Temperaturen kam keiner, und da sein Heer durch das ungewohnte Klima schwere Verluste erlitt, sah er sich genötigt, in sein Land zurückzukehren.“[138]

Doch soll der Nachfahre der Sterndeuter aus dem Morgenland seinen Wunsch, nach Jerusalem zu ziehen, noch nicht aufgegeben haben. Dieser kleine Exkurs über den Presbyter Johannes endet in der Beschreibung seines Ruhmes und dem Überfluss, den er genoss, „daß er sich nur eines smaragdenen Szepters bediene.“[139]

Jede abendländische Einordnung der Mongolen kreiste also um die Frage, ob es sich bei ihnen um grauenhafte Skythen oder verbündete Christen handele.

Da die Mongolen 1219 auf das islamische Reich der Chorizimer stießen, dieses zerstörten und in den Jahren 1220/21 Bagdad bedrohten[140], wurden sie nun als die Heere des Priesterkönigs Johannes angesehen. Auf ihm ruhten die Hoffnungen des bis dahin enttäuschend verlaufenden fünften Kreuzzuges. Kundschafter berichteten sehr detailliert über die mongolische Expansion und dass diese vermeintlich christlichen Heere von einem König namens David befehligt würden. Orientalische Christen bauten ihn als Enkel des Johannes in die Legende ein. Als nach langem Warten dann die Hilfe für die Kreuzfahrer ausblieb, verloren die Mongolen jede Möglichkeit auf eine positive Rolle in der Legende: Sie sollten den Priesterkönig Johannes und seinen Enkel David getötet haben.[141]

„Kurz vor dem Mongoleneinfall in Ungarn und Polen bedeutete der Kampf gegen die Tartaren“ für Papst Gregor lediglich „ein Teilproblem des weltweiten Kampfes gegen Heiden und Ketzer.“[142] Noch am 13. Januar 1240 beschwichtigte er Königin Russutana von Georgien und ihren Sohn David in seinem zweiten Antwortschreiben, in dem er die Tataren sehr wohl als Gefahr ansah, allerdings nur als eine von vielen.[143] Diese Meinung sollte sich schlagartig ändern.

[123] Vgl. Klopprogge, Axel: Das Mongolenbild im Abendland, in: Conermann, Stephan; Kusber, Jan (Hrsg.): Die Mongolen in Asien und Europa, Berlin u.a. 1997. S. 81-102, hier S. 81.

[124] Klopprogge, S. 83. In der europäischen Vorstellung dieser Zeit gab es drei Kontinente: Europa, Asien und Afrika. Die letzten beiden waren durch den Nil getrennt, Afrika und Europa trennte das Mittelmeer, Europa und Asien der Don im heutigen Russland. Asien sei so groß wie Europa und Afrika zusammen und ende im Süden mit Persien und Indien. Das Seidenland China war zwar dem Namen nach bekannt, konnte allerdings geografisch nicht zugeordnet werden.

[125] Klopprogge, S. 83.

[126] Klopprogge, S. 84.

[127] 1. Mose 25, 12 - 18. Die Bibel, Elberfelder Übersetzung, Wuppertal 20008.

[128] Klopprogge, S. 85.

[129] Theologisch werden die Mongolen deshalb als Ketzer angesehen. Sie sind verführte, fehlgeleitete Christen und keineswegs Heiden.

[130] Offb. 20, 8. Die Bibel, Elberfelder Übersetzung, Wuppertal 20008. Tatsächlich brachte der Weltherrschaftsanspruch (Vgl. Kap. 5.0) die Mongolen bis kurz vor Jerusalem, wie in Kap. 4.2.4. geschildert.

[131] Klopprogge, S. 88.

[132] Trotz dieser etymologischen Bedeutung wird in dieser Arbeit die korrekte deutsche Schreibweise „Tataren“ bevorzugt.

[133] Papst Gregor verwendet diesen Namen in seiner zweiten Antwort an Königin Russutuna und ihren Sohn David: MGH, Epist. saec. XIII, 1, Nr. 765, S. 664f. Vgl. Bezzola, Gian Andri: Die Mongolen in abendländischer Sicht 1220-1270, Ein Beitrag zur Frage der Völkerbegegnungen, Bern 1974. S. 75.

Auch in der ersten Reaktion von Kaiser Friedrich II. taucht der Name Tartaren auf: MGH, Const. II, Nr. 235, S. 322 - 325. Sie wird allerdings ebenso wie bei Gregor neben anderen Bezeichnung, wie gens barbara oder gens impera, benutzt.

[134] Ebd..

[135] Otto Episcopus Freising: Chronica sive historia de duabus civitatibus, MGH, Scriptore, schol., S. 365.

Deutsch: Otto Bischoff von Freising: Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, , übers. v. Adolf Schmidt, hrsg. v. Walther Lammers. In: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. hrsg. von Rudolf Buchner, Band 16, Darmstadt 1960. S. 556ff.

[136] Ebd., S. 557.

[137] Ebd., S. 557.

[138] Ebd., S. 557.

[139] Ebd., S. 559.

[140] Vgl. Kap. 3 dieser Arbeit.

[141] Vgl. Klopprogge, S. 95.

[142] Bezzola, S. 75.

[143] MGH, Epistolae saeculi XIII, 1, Nr. 765, S. 664f. Vgl. Bezzola, S. 75ff.
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