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6. Ergebnisse und Schluss
Die Darstellung Dschingis Khans und der Mongolen brachte einerseits Massaker und andererseits Errungenschaften hervor. Auf der einen Seite war von mongolischer Ehre, Tradition und Glaubensfreiheit die Rede, die andere Seite zeigte eine Bande von Meuchelmördern und Imperialisten.
Die Verbindung der Ergebnisse in einem moralischen Urteil wollen wir bewusst dem Leser überlassen. Allenfalls das Auf und Ab der Bewertung der Mongolen vom Mittelalter bis zur Neuzeit wollten wir darstellen. War Dschingis Khan also ein brutaler Welteroberer mit zivilisatorischen Fähigkeiten? Oder müsste man ihn eher einen genialen Mann nennen, der es schaffte, die unzivilisierten, marodierenden Völker der Mongolei zu einen, der einen Staat aus dem Nichts erschuf und dabei (zwangsläufig) über die Stränge schlug?
Je nach der jeweiligen gegenwärtigen Situation werden diese Bewertungen anders ausfallen. Die Sicht auf die Mongolen blieb in den hier untersuchten historischen Quellen stets einseitig. Die eigene Geheime Geschichte verklärt in einem Gründungsmythos die Mongolen als Herren der Welt und spart dann in der historischen Darstellung jede Art von Niederlagen und Gräueltaten aus. Die abendländische Sicht verläuft in Wellenbewegungen, zwischen den Extremen als Höllenvölker oder christliche Verbündete gibt es keinen Ausgleich. Als Versuch einer objektiven Darstellung erscheint die bearbeitete chinesische Quelle. Doch dies nur, da sie von den Sung-Chinesen verfasst wurden, die ihre Freude über die Niederlagen der Erzfeinde der Chin geschickt verstecken.
Bis heute überwiegen stereotype Darstellungen der Mongolen, in populärwissenschaftlichen Debatten gibt es keine anderen. Der Name Dschingis Khans und der Mongolen wird gleichgesetzt mit Gewaltherrschaft, die zivilisatorischen Elemente werden übersehen.
Nach den Deutungsschwierigkeiten von Wörtern und Lebensweisen, die bereits bei Interpreten des Mittelalters aufgrund der unterschiedlichen Kulturkreise und Sprachen zu vielen Missverständnissen führen, erschwert bei einer weiteren Einordnung der Quellen in die Neuzeit der zeitliche Abstand und das Unverständnis für im Mittelalter Selbstverständliches den Zugang.
Die Frage, ob zivilisatorische oder verwerfliche Elemente bei Dschinghis Khan überwiegen, wird je nach Zeit, Frager und genauer Fragestellung ganz unterschiedlich beantwortet werden. Interessanter bleibt die Beschreibung dieser beiden Elemente in Mittelalter und Gegenwart. Dabei ist die Selbstdarstellung der Mongolen anhand der Geheimen Geschichte eine Hagiographie, wenn auch keine mit den europäischen jener Zeit vergleichbare. Hier muss ein Halbwaise einen steinigen Weg hinter sich legen, bis seine Bestimmung als Herrscher der Welt von allen anerkannt wird. Dabei muss er als Sohn Gottes auf dem Weg zum Ziel Kämpfen und töten, was einen Heiligen in europäischen Hagiographien disqualifizieren würde. In der mongolischen Hagiographie sind die Wertmassstäbe verschoben, hier würden zum Beispiel nicht eingehaltene Versprechen zur Disqualifikation des Heiligen führen.
Die Mythen und Legenden des europäischen Mittelalters sind facettenreicher. Einige Texte über Dschinghis Khan sind Malographien, sie legen sehr viel Wert auf die böse Geburt (aus der Hölle), unmenschlich grausame Taten und das Unglück, das er jedem bringt, der mit ihm zu tun hat. Dem mongolischen Völkergemisch werden dazu noch die teuflischen Attribute in Bezug auf Aussehen und Gestank angeheftet.
Wir sind der Meinung, dass die normative Ebene nicht der erste Zugang von Historikern zu ihrer Thematik sein darf. Normative Geschichtswissenschaft als Erstbegegnung verstärkt nur das Unverständnis und damit die Deutungsschwierigkeiten zu fremden Zeiten und Kulturen.
Ergebnis von Terrorherrschaft als Abschreckungssystem und dem Abschlachten von überflüssig erscheinenden Menschen war die Weltherrschaft. Der Spruch, wonach es keine gerechten Kriege gäbe, wird hier lediglich in seiner Negation zu Ende geführt. Damit sind die erwähnten Massaker auf der normativen Ebene keineswegs gerechtfertigt, rein deskriptiv brachten sie den Mongolen das erwünschte Ergebnis.
Moralisch bewertend bleiben die Vorwürfe gegen Dschingis Khan auch nach Abstraktion der Grausamkeit seiner Zeit und der vermeintlichen Unfähigkeit im Umgang mit befestigten Städten stehen. Nur dürfen sie nicht alleine die Waage füllen, mit der Dschingis Khan und die Mongolen gemessen werden sollen. In der anderen Waagschale stehen Toleranzgedanken, gerade auch in religiösen Fragen, die dem Europa jener Zeit völlig fremd waren. Des Weiteren ein Rechts- und Ehrenkodex, auch im Verhalten zu Besiegten und sich Ergebenden, der vielen christlichen Heeren und Gesellschaften gut zu Gesicht gestanden hätte und schließlich eine Zivilisationsebene, die sich das Beste aus allen Kulturen aneignete. Selbst wenn für den Betrachter die Gräueltaten wesentlich schwerer wiegen, dürfen sie niemals nur alleine genannt werden.
Die geschichtliche Bedeutung Dschingis Khans und der Mongolen erschließt sich in dem Nebeneinander von Terror und Toleranz, gerade auch weil diese Extreme für sie selber allem Anschein nach eine alltägliche Gleichwertigkeit besaßen.
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