Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

4.3.1 Chao Hung (1221): Ausführliche Aufzeichnungen über die Mongolischen Tatan (Meng-Ta pei-lu)

Chao Hung hielt sich als Gesandter des Sung-Reiches 1221 am Hof Muqali’s, des Oberbefehlshabers und Statthalters des Khan, in Peking auf. Er stellte seinen Bericht, der wahrscheinlich als private Niederschrift gedacht war, noch im gleichen Jahr fertig. Chao Hung war ziviler Berater des für militärische Angelegenheiten außerhalb der Reichsgrenzen zuständigen Befehlshabers von Huai-tung, der zu Verhandlungen mit dem mongolischen Heer nach Hopei gesandt worden war. Aufgrund mehrerer Missionen zu den Mongolen erwarb sich Chao Hung den Ruf eines erfahrenen Diplomaten. Der Besuch bei den Mongolen richtete sich vermutlich gegen den gemeinsamen Feind – die Chin. Der inhaltliche Wert dieser wie der nächsten Quelle ist durch den Vergleich mit westlichen Quellen sichergestellt. Allein die Aussageintentionen und spezifischen Wahrnehmungen der Mongolen durch die Sung müssen genauer untersucht werden.[208]

Die Darstellung der mongolischen Kultur ist ausgeglichen, d.h. es werden kaum Bereiche ausgespart und somit die Mongolen von allen Seiten beleuchtet. So wird z.B. auf das Beamtensystem[209] ebenso eingegangen wie auf Sitten[210] und Eroberungen.[211] Diese nehmen allerdings weit weniger Raum[212] ein als z.B. in westlichen Quellen – auch wenn sie den gleichen Aussagewert besitzen:

„Wenn sie [die Tatan] eine große Stadt angreifen wollen, erstürmen sie immer zuerst die kleineren Städte und bemächtigen sich der Bewohner, um sie zu Diensten für sich zu zwingen. Sie erteilen dann den Befehl: ‚Jeder Reiter hat die Pflicht, zehn Mann zu fangen!’ Wenn sie genügend Leute zusammengebracht haben, wird jeder einzelne verpflichtet, eine bestimmte Menge Futter oder Feuerungsmittel oder Erde und Steine zu liefern; Tag und Nacht werden sie dazu gezwungen, und wer säumig ist, wird getötet. Man zwingt sie, die Befestigungsgräben aufzufüllen und sie so im Handumdrehen einzuebnen.[213] Oder sie werden zum Dienst an den ‚Gänsewagen’ und Laufgängen, an den Katapulten und (Abschuß)-Rampen u. dgl. eingesetzt. Erbarmungslos verfährt man so mit Zehntausenden. Keine derart angegriffene Stadt, die sie nicht eroberten! Und wenn eine Stadt erobert ist, machen sie alles nieder ohne Rücksicht ob alt oder jung, schön oder hässlich, arm oder reich, widerspenstig oder gefügig. Pardon wird so gut wie nicht gegeben. Jeder, der vor einem Angriff den Befehlen nicht Folge leistet, wird unbedingt hingerichtet, auch wenn er noch so hochgestellt ist.“[214]

Die Berichterstattung ist überwiegend sachlich darstellend und tendenziell eher gegen das Chin-Reich gerichtet als gegen die Mongolen. Das wird vor allem deutlich, indem öfter von den „Kin-Barbaren“[215] gesprochen wird, von denen die Mongolen beispielsweise das Beamtensystem übernommen hätten. Die Mongolen selber werden ohne große Emotionen, sieht man einmal von dem einmaligen, oben dargestellten Eroberung ab, beschrieben. Allenfalls erahnen lässt sich, dass sie wenn schon nicht total als Barbaren abwertend, so doch auch nicht als mit den Sung auf einer Stufe stehend, bezeichnet werden. Beschreibungen von den Sitten („Ihr (größtes) Vergnügen sind Trinkgelage. [...] Es ist bei ihnen zumeist nicht üblich, sich die Hände zu waschen [...] sie [wischen]sie an den langen Oberkleidern ab. Ihre Kleider tragen sie, bis sie völlig zerlumpt sind, und sie ziehen sie nie aus zum Waschen.“[216]) fallen eher abwertend aus. Natürlich muss auch in Betracht gezogen werden, dass sich die Situation damals auch so darstellte, doch die Beschreibung lässt sich auch so interpretieren, dass sich die Mongolen hier deutlich von den kulturell höher stehenden Sung unterschieden, die sich nach ihrem Selbstverständnis so natürlich niemals verhalten hätten.

[208] Bei Chao Hung könnte zusätzlich zum Problem werden, dass er sich mehrere Jahre bei den Chin befand und dessen Schilderung so unbemerkt beeinflusst werden konnte.

[209] Cao Hung, Meng-Ta pei-lu, S. 65.

[210] Cao Hung, Meng-Ta pei-lu, S. 69.

[211] Cao Hung, Meng-Ta pei-lu, S. 53.

[212] Was wohl in der geringeren Gefahr für das eigene Gebiet begründet ist.

[213] Wie geschehen bei Urgentsch (vgl. Kap. 3).

[214] Cao Hung, Meng-Ta pei-lu, S. 53.

[215] Cao Hung, Meng-Ta pei-lu, S. 65.

[216] Cao Hung, Meng-Ta pei-lu, S. 69.
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