Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

2.1.5 Zivilisationselemente

Obwohl die Mongolen im Vergleich zum Leben im christlichen Teil der Mittelalterwelt in von der Natur und durch äußere Bedingungen bedrohten und eingeschränkten Verhältnissen lebten, besaßen sie doch einige uns bekannte Zivilisationselemente. Auch wenn sie sie nicht immer selber entwickelten, sondern von anderen Völkern übernahmen, weist die Integration dieser Elemente in die eigene Kultur auf Offenheit und Aufgeschlossenheit hin. Ermöglicht wurde dies allerdings erst, nachdem Dschingis Khan die eigentlichen Mongolen und später die mongolischen Völker unter seine Herrschaft gebracht und vereinheitlicht hatte. Zu nennen ist hier in erster Linie die Schrift und die Amtssprache.

Nach dem Zusammenbruch des Naiman-Reiches hatte Dschingis Khan den Uighuren T’a-t’-t’ung, den ehemaligen Siegelbewahrer, in seine Dienste genommen und ihm aufgetragen, seine Söhne zu unterrichten.[41] Sie sollten lernen, das Mongolische in uighurischer Schrift zu schreiben und die offiziellen Akten durch Aufdrücken des kaiserlichen Siegels gegenzuzeichnen. Das war der Beginn einer Kanzlei.[42] Dies ist besonders unter dem Hinblick bedeutsam, da Dschingis Khan selber nicht lesen und schreiben konnte und deswegen über keinen persönlichen Bezug zur Schrift verfügte.[43] Trotz seiner kriegerischen Eigenschaften ließ er sich die naimanischen Verwaltungsmethoden erklären und erkannte sie als vorteilhafter als die eigene Organisation.[44]

Dem Tataren Šiggi-Quduqu übertrug er das Amt eines Großrichters und die Aufgabe, „gerichtliche Entscheidungen und Urteile sowie die Verteilung der Völkerschaften unter die mongolischen Adligen in die ‚Blauen Hefte’ (kökö däbtär) einzutragen“. Dadurch entstand der mongolische Rechtskodex (yassaq). „Durch den yassaq legt[e] der Großkhan der zivilen Gesellschaft wie der Armee (sie vermischten sich übrigens) eine strenge, vom Himmel gewollte Disziplin auf.“[45] Der Kodex sah mit Tod für Mord, schweren Diebstahl, verabredete Lüge, Ehebruch, Sodomie, Hexerei, Unterschlagung allerdings auch recht drakonische Maßnahmen vor.[46] Der zivile und militärische Ungehorsam wurde den allgemeinen Rechtsverletzungen gleichgestellt. Ergänzt wurde er durch Dschingis Khans Edikte. Offenbar hat die Androhung von harten Strafen nicht seine Absicht verfehlt, wenn man dem Franziskaner Johann von Carpini Glauben schenkt, der vermerkte:

„Die Tartaren [d.h. die Mongolen] sind das gehorsamste Volk der Erde gegenüber ihren Führern [...] sie verehren sie unendlich und sagen ihnen niemals eine Lüge. Es gibt bei ihnen keinen Streit, keine Meinungsverschiedenheiten, keine Morde [...]“.[47]

Grousset folgt dieser Beschreibung und betont, „welch tiefe Wandlung der yassaq Dschingis Khans in der mongolischen Gesellschaft herbeigeführt hat.“[48] Doch nicht nur das Leben der Untertanen wurde geregelt. Auch dem Herrscher war es verboten, andere Titel zu tragen als Khan, Krieger, die jünger als 20 Jahre waren, zu verpflichten, und sich am Erbe seiner Untertanen zu vergreifen.[49]

Im Vergleich zur früheren Lebensweise eroberte sich der Staat immer weitere Bereiche und überzog sie mit seiner Verwaltungstätigkeit. Es musste ein Postdienst eingerichtet werden, weil sich die alten Methoden (Nachrichtenübertragung durch den Abschuss von verschiedenfarbigen Pfeilen) als nicht mehr ausreichend erwiesen.[50] Die Handelswege wurden nun kontrolliert und auch der Trunksucht der Bevölkerung versuchte man entgegenzuwirken. „Die Yassa schloß die Mongolen zu einer beaufsichtigten Einheit zusammen, indem sie alle Funktionen und Pflichten regelte.“[51]

[41] Vgl. Grousset, S. 308.

[42] Dass diese Kanzlei wirklich die ihr zugetragenen Aufgaben ausführte, bezeugen mehrere Schriftdokumente, u.a. auch das Zeugnis für einen verdienten Bogenschützen, das auf einen Stein geschrieben wurde (vgl. Neumann-Hoditz, S. 56).

[43] Vgl. Brent, S. 43.

[44] Vgl. Ratchnevsky, S. 86.

[45] Grousset, S. 308f.

[46] Vgl. Neumann-Hoditz, S. 58.

[47] Zitiert nach Grousset, S. 309.

[48] Grousset, S. 309f. U.a. gab es keine Kleinkriege mehr und keine plötzlichen Überfälle auf die Nachbarn. Streitigkeiten wurden nicht mehr durch Waffengewalt entschieden, sondern durch die Anwendung der Gesetze.

[49] Vgl. Brent, S. 45.

[50] Vgl. Brent, S. 31f. Brent liefert auch eine ausführliche Beschreibung des Systems der neuen reitenden Boten, der ‚Pfeilreiter’.

[51] Brent, S. 45.
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