Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

4.2.4 Der 2. Mongolensturm – Renaissance des Tartarenbildes (1256-1264)

Dem Abendland war nur eine kurze Atempause vergönnt. Die Mongolen nahmen nach der kurzen Herrscherzeit Göjüks (1246-1248) und den daran anschließenden Wirrungen um seine Frau Ogul Qaimisch (1248-1251) ihre expansive Politik wieder auf. Der seit 1251 wieder von allen Mongolen akzeptierte Großkhan Möngke benötigte einige Jahre, um sein Reich im Inneren wieder zu festigen und dann erneut den Zug nach Westen anzutreten.

Den europäischen Annalen und Chroniken jener Zeit sind die Tataren nur noch wenige Sätze wert, die Gefahr scheint gebannt. Nur wer, wie Ludwig IX. im Orient, direkt mit dem Mongolen zusammenstieß, hatte weiterhin Interesse an der Entwicklung dieser Völkerschaften. Auch Béla IV. konnte die Tatarengefahr nicht vergessen, befand er sich doch noch im Wiederaufbau des verheerten Ungarns. Der neue Papst Innozenz IV. stärkte ihn darin, schließlich wollte die Kurie mehr Einfluss im Osten gewinnen, um in der Auseinandersetzung mit dem weltlichen Herrschern nicht wieder den Vorwürfen der Spaltung der Christenheit ausgesetzt zu sein.

In Russland hatte der Kiewer Fürst Alexander Newski die Oberhoheit der Mongolen anerkannt und damit die Abspaltung vom Westen eingeleitet.

Bei nun zunehmenden Berichten über jene, die jetzt wieder direkt dem Tartaro entsprungen zu sein schienen, fokussierte Innozenz diese Gefahr und predigte den Kreuzzug gegen die Tataren. Als Alternative konnte nur eine Missionierung der Tataren die Gefahr bannen, da die Parole ‚Keinen Pakt mit Heiden’ stärker denn je galt. Und die Tataren wurden jetzt eindeutig als Heiden gesehen. Sie hatten keine Sonderrolle mehr und erst „die Taufe konnte die Chane zu wirklich glaubwürdigen Bündnispartnern werden lassen.“[198]

Das Vordringen der goldenen Horde unter Batu und später Berke über Russland nach Europa zerstörte diese frommen Hoffnungen. Während der deutsche Orden im Baltikum eine gute Abwehr darstellte, wurde der Balkan erneut zum Schwachpunkt. Béla IV. von Ungarn, aufgerieben in seinem Streit mit Ottokar von Böhmen, sah sich erneut von Europa im Stich gelassen. In einem Hilfegesuch an den Papst drohte der König, der zur Tatarenabwehr die Kumanen ins Land holte und sich per Heirat mit polnischen und russischen Fürstenhäusern verband, notfalls die Oberhoheit der Tataren anzuerkennen. Diese ungeheuerliche Drohung wahr zu machen, würde die Abspaltung von Europa bedeuten, aber auch die Hoffnung, unter einer pax mongolica sicherer leben zu können. Durch sein Bündnis mit den Kumanen paktierte Béla IV. bereits mit Heiden, so dass er 1259 die Vorschläge der Tataren bezüglich der Unterwerfung Ungarns genau prüfte.

Die Kurie verurteilte diese Bestrebungen scharf, war sie doch zu einem apokalyptischen Mongolenbild zurückgekehrt. Den Tataren könne man nicht trauen, sie seien die Boten des Teufels. Und wer sich mit dem Teufel einlasse, werde grausam durch Gott bestraft.[199]

Die Warnung der Kurie blieb in Polen unbeachtet, im Bündnis mit Preußen, Russen und Kumanen zerstörten und entvölkerten die Tataren das Land. Ottokar von Böhmen fiel in Ungarn ein, um sich als Bollwerk der Christenheit zu positionieren. Als Feinde des Abendlandes waren für ihn Russen, Griechen, Ismaeliten, Kumanen, Ungarn und Tataren ohne Unterschied. Erst auf Befehl des Papstes schloss Ottokar Frieden mit Béla. „Aber das Echo auf diesen zweiten Sturm in Osteuropa hatte nicht mehr die gleiche tiefgreifende Wirkung.“[200]

Längst war die Lage im Orient bedrohlicher geworden. Seit 1256 wusste der Westen von der Verwüstung der Türkei durch die Tataren, die Eroberung des islamischen Reiches bekamen die christlichen Kreuzfahrer direkt mit. Bagdad, die Hauptstadt des Islam, fiel unter einem Blutbad an die Tataren, ganz Syrien und viele weitere islamische Städte folgen.

Dabei schonten die Angreifer immer häufiger die an diesen Orten lebenden Christen, vor allem Hülägü[201], dessen Frau Christin war. Europa bekam von diesen christenfreundlichen Zügen der Mongolen nichts mit und wenn, wären auch diese Nachrichten einseitig gegen die Tataren verwendet worden. Mit wenigen anderen sah König Hethun von Armenien die Tataren als Schutzmacht gegen den Islam und unterwarf sich ihnen. Das Abendland aber sah in den Tataren die schlimmste aller Bedrohungen, die gemeinsame Gefahr schlug sogar Brücken zu den bereits aufgeriebenen Moslems. „Ja manche Mohammedaner suchten völlig verstört den Schutz der Christen auf.“[202]

Die Christen im heiligen Land warteten hysterisch auf den Mongolenangriff, unter ihnen verbreitete sich Endzeitstimmung. Nach den Prophetien des Jeremia würde ein Strafgericht über sie hereinbrechen: Panik brach aus. Papst Alexander IV. bediente die alten Topoi, er sprach von der Geißel Gottes, die, egal wie viele Moslems die Tataren getötet hätten, mit blinder Zerstörungswut, Treulosigkeit und Hinterlist über das Christentum einbrechen würde. Von neuem setzte sich die Ansicht durch, „man stehe wieder vor einem kombinierten, einheitlichen Angriff der teuflischen Macht der Tataren, welche die ganze Welt zu erobern gedachte.“[203]

Für seinen Nachfolger Urban IV. waren die Tataren schon nicht mehr die einzige Gefahr, weshalb sie als weniger schrecklich dargestellt wurden. Weiterhin wurde auf jeden vermeintlichen Bekehrungswillen der Mongolen freudig geantwortet, obwohl das Misstrauen blieb. Papst Urban sah das Abendland an zwei Fronten bedroht. Für ihn blieben die Tataren eine Strafe Gottes, aber eine, die im Vergleich zu 1241 besser bekannt war und sich ins eigene Weltbild einbauen ließ.

Es waren schließlich Moslems, die das Abendland retteten. Der Sultan von Kairo fügte den Tataren die erste größere Niederlage zu und ließ für kurze Zeit die Hoffnungen einer christlich-islamischen Allianz blühen. Wenig später bekämpften sich die Weltreligionen bereits wieder. Das mongolische Reich war auseinandergebrochen und lebte in vielen Dynastien weiter. In den Vorstellungen des Abendlandes blieben die Tataren jenes Völkergemisch, welches direkt aus der Hölle kam. Eine weitere Auseinandersetzung oder Revidierung dieses Bildes wurde nicht vorgenommen. Die Europäer freuten sich, dass sie verschont geblieben waren, und wollten weiterhin nichts von den Völkern Zentralasiens wissen. Auch die friedlichen Nachrichten, die Händler und Weltreisende wie Marco Polo über die Mongolen mitbrachten, konnten dieses Bild über Jahrhunderte nicht ändern.

Zum Gesamtbild der Mongolen aus abendländischer Sicht muss angemerkt werden, dass von keinem einzelnen Verfasser eine Meinungsänderung bekannt ist. Es meldeten sich nur stets diejenigen zu Wort, deren vorgefertigte Meinung gerade in das reale Bild zu passen schien, um anzumerken, dass sie dieses aktuelle Szenario schon immer prophezeit hätten.

Die vorgefertigten Meinungen, beziehungsweise die Bereitschaft, sie zu ändern, machen die Unterschiede zwischen den Quellen aus. Dabei ist es überraschenderweise nicht von der Entfernung zum Ort des Geschehens abhängig, wie realitätsnah Wissen und Einschätzung des Autors ist.

[198] Bezzola, S. 189.

[199] Vgl. Bezzola, S. 188.

[200] Bezzola, S. 190.

[201] Hülägü war 1248-1265 Ilchan von Persien. Vgl. Bezzola, S. 220.

[202] Bezzola, S. 193.

[203] Bezzola, S. 195.
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