Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

5. Die Expansion der Mongolen - Versuch einer Erklärung

„Vom ewigen Gott ward bestimmt: Ein ewiger Gott nur ist im Himmel, ein Herr nur soll auf Erden sein, Dschinghis-chan, Sohn Gottes“.[227] Großkhan Möngke schrieb dies, nachdem er die mongolischen Stämme wieder geeint hatte. Unter ihm und seinem Nachfolger Kublai blühten die mongolischen Allmachtsphantasien noch einmal auf, „denn sie sehen sich als Herren der Welt an und meinen, von niemandem dürfe ihnen etwas abgeschlagen werden.“[228] Tatsächlich gab es vorher Uneinigkeiten[229], die an die Zeit vor Dschingis Khan[230] erinnerten. Das Möngke bereits wenige Jahre nach der Einigung der Stämme die Expansion wieder bis nach Europa voran getrieben hat, beinhaltete eine wichtige Grundlage für die Möglichkeit der Ausdehnung der Mongolen.

Man könnte sagen, nur einer charismatischen Führergestalt konnte es gelingen, dem heterogenen Vielvölkergemisch absoluten Gehorsam abzuverlangen, sich die Zivilisationselemente verschiedener Kulturen zu nutze zu machen, ohne die eigenen zu verlieren und mit ihnen an die Enden der damals bekannten Welt vorzustoßen. Wenn auch der messianische Gedanke[231] bei der Berufung auf Gott völlig ausgespart blieb, konnte nur Khan werden, wer sich in direkter Linie zu Dschingis Khan stellte. Immer, wenn es mehrere Anwärter auf diese Position gab, ging es dem Mongolenreich schlecht.

Ein Mittel Dschingis Khans auf dem Weg, undisziplinierte Nomadenvölker zur gefürchtetsten Streitmacht seiner Zeit zu machen, war der yassaq.[232] Die konsequente Einhaltung dieser Rechtsordnung sicherte den mongolischen Erfolg. Wenn ein Heer äußerlich so erfolgreich war, scheiterte es meist an inneren Konflikten. Neben dem Untergang des Weströmischen Reiches hat die Geschichte dafür eine Menge Beispiele parat. Auch für den Untergang des mongolischen Reiches waren äußere Niederlagen[233] der Anlass, die Gründe aber lagen im Inneren.

Die Übertragung der Jagdfähigkeiten auf kriegerische Auseinandersetzungen brachte den militärischen Erfolg. Dabei war die Übertragung der über Jahrhunderte perfektionierten Treibjagd auf Menschen auf der rein rationalen Bewertungsgrundlage der Effektivität genial.

Rogerius von Torre Maggiore machte eine wichtige Entdeckung, als er hinter dem Terror das Motiv der Einschüchterung entdeckte. Die Mongolen waren ihren Gegner meistens zahlenmäßig unterlegen und brachen durch um so grausameres Auftreten jeden Widerstand. Oft waren die Überfallenen auch noch lange nach Abzug der mongolischen Heere wie gelähmt. Sie taten nichts, was den Mongolen missfallen konnte, aus der ständigen Angst, der Terror könnte jeden Augenblick weitergehen.

Die Einebnung ganzer Städte durch die Mongolen scheint tatsächlich auf das anfängliche Nichtwissen, was mit einer befestigten Stadt zu tun sei, zurückführbar zu sein. Viele Städte mussten mehrmals eingenommen werden, bis der Nutzen von festen Städten gelernt wurde. Aber auch den Mongolen half bei ihrer Expansion, dass wenig über sie bekannt war. Den Eigenheiten ihrer Kampf- und Reitkunst und ihrer Pferde wussten die überraschten Gegner nichts entgegenzusetzen. Das Unwissen der Feinde ermöglichte die Eroberung der damals bekannten Welt. Erst mit zunehmenden Informationen über die Mongolen konnten erste Erfolge gegen sie verzeichnet werden.

Dass eine Millionen Menschen über einen Raum herrschten, der 25 Millionen km² umfasste, stellt ein Phänomen dar. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Mongolen diesen Raum niemals in Gänze kontrollierten. Unterworfene Gebiete wurden nicht verwaltungstechnisch eingegliedert wie bei Alexander, Napoleon oder den Römern. Leistung der Mongolen blieben die riesigen Entfernungen, die sie zurücklegten und dabei nie den Hunger auf neue Eroberungen verloren. Der Grund hierfür lag in den Aufstiegsmöglichkeiten des Steppenfeudalismus.[234] Da jedem einfachen Soldaten die Karriereleiter allein aufgrund von Leistung offen stand, befanden sich sämtliche Teile der Armee in ständigem Wettkampf. Dem alles beherrschendem Khan zur Ehre wollte jeder stets der Beste sein.

Die im universitären Seminar, das den Ausgangspunkt für diese Arbeit darstellt, erörterte Deutungsmöglichkeit, dass ab einer bestimmten Größe des Mongolenreiches die innere Notwendigkeit nach weiterer Expansion vorlag, zum Beispiel um durch die Beute die Heere bezahlen zu können, kann nicht verifiziert werden. Vielmehr lässt sich dieses Deutungsmuster, das auf viele andere Reiche anwendbar ist, gerade durch die Entwicklungsgeschichte der Mongolen widerlegen. Die Herkunft aus kargen Lebensverhältnissen wurde nie vergessen und auch noch in Zeiten der größten Ausdehnung galt Anspruchslosigkeit gerade im Militär als wichtigste Tugend. Wenn große Beute gemacht wurde, regelten Anführer und yassaq, dass daraus kein Wahn nach materiellen Gütern entsprang.

Es bleibt das Sendungsbewusstsein, dass der göttliche Auftrag erst ausgeführt ist, wenn die ganze Welt erobert ist. Möglich wird die Ausführung dieses Auftrages durch eine charismatische Führerpersönlichkeit, die alle Stämme zu einen wusste und einen Rechtskodex, der äußerste Disziplin verlangte. Die Verbindung von tradiertem Wissen, das dem Rest der Welt nicht zugänglich war mit ständiger Lernfähigkeit ließ sie in steter Verbesserung des Alten immer weiter gehen.

Dies ist ein Erklärungsversuch, der auf den Ergebnissen dieser Arbeit aufbaut. Ob ihm nun zugestimmt wird oder nicht, er ist zumindest nachvollziehbar. Was in dem Rahmen dieser Arbeit nicht möglich und von der Fragestellung her auch nicht intendiert war, ist tiefer auf die eigentlichen Ursachen von Expansion und Grausamkeiten einzugehen. Warum treibt es Menschen dazu, sich nicht mit der persönlichen Sicherheit zufrieden zu geben und stattdessen immer weiter in unbekannte Gebiete einzudringen? Warum kommt es bei Kriegen und gewalttätigen Auseinandersetzung auch zu Übergriffen auf unbeteiligte Zivilisten? Warum werden auch Frauen, Kinder und Haustiere nicht verschont? U.E. stößt die Geschichtswissenschaft hier an Grenzen und kann die (auch heute noch hochbrisanten und aktuellen) Fragen nicht vollständig beantworten. Vielleicht wäre ein psychologischer oder erziehungswissenschaftlicher Ansatz hinzuzuziehen, der einen Blick in die ‚Seele’ der beteiligten oder auf ihre Sozialisation und Erziehung richtet. Mit dem hier versuchten Ansatz konnte nur ein, wenn auch ein wichtiger, Teil der Thematik beleuchtet werden.

[227] Wilhelm von Rubruk, Kap. 48, S. 292. Wilhelm von Rubruk bekommt diesen Brief an König Ludwig IX. von Frankreich mit auf dem Weg, als er 1255 die Rückreise ins Abendland antritt

[228] Wilhelm von Rubruk, Kap. 11, S. 80.

[229] Diese Uneinigkeiten verschafften dem Abendland eine Atempause. Vgl. Kap. 4.2.4. dieser Arbeit.

[230] Vgl. Kap. 2.2. dieser Arbeit.

[231] Dass Gottes Sohn für die Christenheit der Erlöser der Welt ist, muss den Mongolen bekannt gewesen sein.

[232] Vgl. Kap. 2.1.5. dieser Arbeit.

[233] Beginnend mit der Niederlage gegen den Sultan von Kairo. Vgl. Kap. 4.2.4. dieser Arbeit.

[234] Vgl. Kap. 2.1.1. dieser Arbeit über die Gesellschaftsstruktur, die gleichzeitig Militärstruktur war.
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