Dschingis Khan

Die Mongolen unter Dschingis Khan

von Simon Hollendung und Björn Böhling

3. Gräueltaten, Massaker und Terror während der mongolischen Expansion – Wahrheit oder Verklärung? Zum Stand der mediävistischen Forschung

Nachdem wir nun wesentliche Züge der mongolischen Kultur beleuchtet und uns die Voraussetzungen und Rolle Dschingis Khans bei der explosionsartigen Expansion des mongolischen Reiches vergegenwärtigt haben, geht es in den folgenden Kapiteln um die Begleiterscheinungen dieser Expansion – neudeutsch um die so genannten Kollateralschäden. Es geht um das, was heute noch am ehesten mit dem Namen Dschingis Khan in Verbindung gebracht wird, um die angeblichen Gräueltaten der Mongolen bei der Eroberung fremder Völker. Der Name Mongole scheint, jedenfalls nach heutigen Aussagen zu urteilen, ein Synonym für Grausamkeiten, Barbareien, Brutalitäten, Massenmorde, Vergewaltigungen, Tötungen von Männern, Frauen und Kindern, sowie Auslöschungen ganzer Städte und Landstriche zu sein.

In diesem Kapitel geht es zunächst um die Vergegenwärtigung der unterstellten Verbrechen. Es wird den Fragen nachgegangen: Welche Taten müssen von den Mongolen und somit auch von Dschingis Khan verantwortet werden? Wie sieht die historische Forschung die Anschuldigungen? Um diesen Fragen nachzugehen, werden nun Mediävisten zitiert, um einen Überblick über die Forschungslage zu geben.

Grousset meint zum Krieg gegen die Chin: Als schließlich Peking fiel, nahmen die Mongolen „die Stadt, massakrierten die Bevölkerung, plünderten die Häuser und setzten sie dann in Brand (1215). Die Zerstörungen dauerten einen Monat.“[86] Und Neumann-Hoditz ergänzt:

„Unter der hilflosen Bevölkerung richteten die Eroberer ein Blutbad an; Tausende wurden niedergemetzelt, Frauen und Mädchen stürzten sich in Massen von den Festungsmauern in die Tiefe, um der Sklaverei zu entgehen. Vier Wochen dauerten die Plünderungen. Ein Großteil der Stadt ging in Flammen auf.“[87]

Während die Mongolen in den Kriegen gegen die Chin und andere östlich liegende Völker noch Erfahrungen im Kampf gegen befestigte Anlagen sammelten, konnte sie diese und ihre neu erworbenen Taktiken gegen die Gegner im Westen schon anwenden.

Im Krieg gegen das Chorezmische Reich kam es bei Buchara im Februar 1220 zu einer Belagerung, zu der sich Grousset wie folgt äußert:

„Die Zitadelle, in die sich 400 Mann geflüchtet hatten, wurde im Sturm genommen; alle Verteidiger fanden dabei den Tod. Die Stadt wurde einer systematischen Plünderung unterzogen. Die Bevölkerung wurde auf jede Weise ausgeraubt, mißhandelt, brutalisiert und vergewaltigt; doch es wurden in der Regel nur diejenigen hingerichtet, die wie der muslimische ‚Klerus’ versuchten, sich den Gräueltaten und Entweihungen der Sieger zu widersetzen. [...] qualifizierte Handwerker, wurde[n] in die Mongolei deportiert. [...] Die türkische Garnison, die sich den Mongolen spontan ergeben hatte, wurde dennoch systematisch niedergemetzelt. [...] das Massaker war so gründlich gewesen, daß kaum genug Menschen übrigblieben, ein einziges Viertel zu bevölkern.“[88]

Unterstützt werden dies Aussagen durch Ratchnevsky, der sagt:

„Die Behandlung der Bevölkerung Bucharas kann als Modellfall gelten. Leistete aber die Stadt einen hartnäckigen Widerstand und brachte den Mongolen hohe Verluste bei, wurden nach der Eroberung die Männer niedergemacht mit Ausnahme der Handwerker, die, wie auch die Frauen unter den Siegern verteilt und in die Sklaverei verschleppt wurden.“[89]

Den Angriff auf die Stadt Urgentsch in Choresam beschreibt Brent:

„Schließlich gelang es den Angreifern, den Kampf zu entscheiden: Brennende Naphtabehälter ließen die Stadt in Flammen aufgehen, und nach siebentägigen Straßenkämpfen war der Sieg errungen. Die meisten Einwohner wurden umgebracht, und wer noch am Leben war, mußte ertrinken: Die Eroberer leiteten den Fluß ein weiteres Mal um, und die Wassermassen ergossen sich nun auf die unterirdischen Verstecke der Überlebenden."[90]

Als sich einige Städte Ostirans wieder gegen die Mongolen zu wehren begannen, nachdem diese vor Parwan ein Armeekorps verloren hatten,

„rechnete [Dschingis Khan] als erster mit den Bewohnern von Ghazna ab, die alle niedergemetzelt wurden, mit Ausnahmen der Handwerker, die er in die Mongolei schickte. Herat hatte sich nach der Schlacht von Parwan erhoben (November 1221). [...] Die gesamte Bevölkerung wurde massakriert; das Gemetzel dauerte eine Woche.“[91]

„Das Land und die Bevölkerung mußten den Widerstand auf schreckliche Weise büßen. Chorasan wurde verwüstet; Herat, Nischapur, Merw und Balch, klassische Zentren einer uralten Zivilisation, fielen in Schutt und Asche, ihre Einwohner wurden dezimiert, wenn nicht ausgerottet. Bei der Belagerung Bamians wurde der junge Mütügen, der Lieblingsenkel Dschingis Khans, getötet. Daraufhin wurde nicht einmal Beute gemacht, sondern alles zerstört, jegliches Leben ausgelöscht.“[92]

Die Mongolen benutzen aber auch die eingangs angesprochenen Kriegstaktiken und besonders die Einheimischen für ihre Zwecke:

„Zur Eroberung einer Stadt[93] rekrutierten die Mongolen die gesamte männliche Bevölkerung der Umgebung, der Dörfer, der offenen Städte, und trieben sie, den Degen im Rücken, gegen die Gräben und Mauern. Was lag daran, daß diese Menschen von ihren eigenen Landsleuten getötet wurden, wenn ihre Leichen nur den Graben füllten und die wiederholten Angriffe die Verteidiger schließlich erschöpften? Manchmal verkleidete man diese Unglücklichen als Mongolen, stellte sie zu Zehnergruppen zusammen und zwang sie, eine mongolische Fahne zu tragen, so daß die Garnison, die diese Massen sich in der Ebene entfalten sah, glauben mußte, es mit einer gewaltigen Dschingiskhaniden-Armee zu tun zu haben. Dank dieser Kriegslist geschah es, daß ein schwaches mongolisches Kontingent genügte, eine Stadt zur Kapitulation zu bringen. Dann metzelte man die überflüssig gewordenen menschlichen Herden nieder.“[94]

Bei der Eroberung Afghanistans kam es zu folgender Szene, die gerade deswegen aus der Menge der grausamen Vorkommnisse hervorsticht, weil hier ein Vertreter der Dschingiskhaniden unmittelbar mit den Massakern in Verbindung gebracht werden konnte: Tului, der jüngste Sohn Dschingis Khans, eroberte die Stadt Merw;

„fast die gesamte Bevölkerung der Stadt wurde ebenfalls hingerichtet (Ende Februar 1221). Tului saß dabei auf einem vergoldeten Stuhl in der Ebene vor der Stadt und leitete die Massenhinrichtung. Männer, Frauen und Kinder wurden getrennt in Gruppen den verschiedenen Bataillonen zugeteilt und enthauptet. ‚Man verschonte nur 400 Handwerker.'“[95]

Besonders erschreckend wirkt die von Grousset geschilderte Szene, die sich in Nischapur ereignete:

„Die Witwe Toqutschars wohnte dem Massaker bei. Um Täuschungen seitens der Opfer zu verhüten, schlug man den Leichen die Köpfe ab und errichtete aus ihnen Pyramiden von Menschenschädeln, getrennt nach Männern, Frauen und Kindern. ‚Man tötete alles, einschließlich der Hunde und Katzen.’“[96]

Der abschließende Bericht zeigt, wie wenig das Leben wert war, wenn man den Mongolen in ungünstigen Situationen begegnete. Brent schildert hier Ereignisse, die sich nur noch indirekt auf den Großkhan beziehen, denn er war zu dieser Zeit bereits verstorben. Es geschah in den letzten Kriegstagen im Kampf gegen die Hsi-Hsia (Tanguten):

„Am 18. August 1227 [...] ‚verließ Dschingis Khan die vergängliche Welt und hinterließ Thron, Habe und Herrschaft seiner berühmten Familie’, wie Raschid ad-din berichtet. Er hatte wenige Stunden zuvor seine letzten Anordnungen erteilt: ‚Gebt meinen Tod nicht bekannt, weint nicht und klagt nicht [...] Doch wenn der König der Tanguten und die Bevölkerung zur vorgesehenen Zeit die Stadt verlassen, dann vernichtet sie!’ Sogar über den Tod hinaus wollte er dafür sorgen, daß das von ihm begonnene Werk zur furchtbaren Vollendung gelangte. Und wie im Leben gehorchte ihm sein Volk auch im Tode: Als die Einwohner von Chung-hsing mit Schidurgo [der neue Herrscher der Hsi-Hsia, nachdem der alte geflohen war; B.B.] aus den Toren ihrer Stadt strömten, hieben die Mongolen von allen Seiten auf sie ein. Wie in einer schaurigen Trauerfeier für ihren verstorbenen Khan hoben und senkten sie ihre schwertbesetzten Arme über den wehrlosen Menschen. [...] Nun ging es heimwärts; die trauernde Armee brach aus Hsi-Hsia auf – und auf diesem Marsch wurde, wie es die schauerliche Tradition verlangte, kein Lebewesen verschont. Menschen, Wild und Vögel – alles, was den Kriegern begegnete, wurde niedergemacht [, um dem Verstorbenen im Jenseits zu dienen]“.[97]

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich sämtliche hier behandelte Autoren, mehr oder weniger einig darüber sind, dass Blut den Weg der Mongolen kennzeichnete. Dabei wird man nicht nur von einer Spur, sondern von einem reißen Fluß voll Blut ausgehen können. Die Mongolen massakrierten, vergewaltigten und versklavten eine ungeheure Anzahl von Menschen – von feindlichen Kämpfern, wie von unschuldigen Frauen und Kindern.

Doch das Bild der Mongolen ist vielschichtiger und hängt nicht nur von den Grausamkeiten, die auch alles andere überlagern könnten, ab. Wie schon oben dargestellt zeichneten sich die Mongolen nicht nur durch ihre Brutalität aus, sondern durch besondere Leistungen im Alltag, durch die Assimilation von Zivilisationselementen und Aufgeschlossenheit in Glaubensfragen.

Grafiker Berlin MSN Nicks

[86] Grousset, S. 321.

[87] Neumann-Hoditz, S. 79.

[88] Grousset, S. 333f.

[89] Ratchnevsky, S. 118.

[90] Brent, S. 71.

[91] Grousset, S. 337.

[92] Neumann-Hoditz, S. 91.

[93] Hier wird wahrscheinlich auf die Stadt Urgentsch verwiesen (vgl. auch Kap. 4.3.1.).

[94] Grousset, S. 338.

[95] Grousset, S. 335.

[96] Grousset, S. 335f.

[97] Brent, S. 77.
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